Symposium in Schwerin

Von admin|27. Januar 2007|Schwerin|

Wer hat ein Recht auf Leben? Diese Frage stellte Sandra Maischberger am 02.01.07 in der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ unter anderem an Peter Singer! Diese Frage beschäftigte wiederum auch am 25.01.07 in Schwerin die TeilnehmerInnen an einem Symposium „Geschehnisse auf dem Sachsenberg zur Zeit des Nationalsozialismus“.
Was ist in der Nervenklinik auf dem Sachsenberg in der NS- Zeit wirklich geschehen?
Über 900 hilflose Kranke und Kinder wurden von ihren Ärzten, Krankenschwestern und Krankenpflegern in der NS- Zeit auf dem „Sachsenberg“ umgebracht.
Wer ein Recht auf Leben hatte oder nicht, trichterten die Nazi-Ideologen den Ärzten, Hebammen und Gesundheitsfunktionären in der Ärzteführerschule Alt Rehse ein.
Die Saat ging auf, willige Vollstrecker in Weiß bekamen gut bezahlte Schlüsselstellungen in Krankenhäusern, im staatlichen Gesundheitswesen und in Universitäten des Deutschen Reiches, auf zuvor durch Verfolgung und Säuberung freigemachten Stellen. Diese Ärzte setzten dann die Gesundheitspolitik der Nazis in die Tat um und behandelten gemäß der „Aktion T4“ ab 1939 ohne Skrupel planmäßig hunderttausende Patienten zu Tode. Behinderte und chronisch Kranke gehörten damit zu den ersten Opfern der Massenmorde in der NS- Zeit. Neben der NS- Rassenlehre stellte die Nazi – Propaganda die Kosten für Krankenpflege, Unterbringung und Verpflegung der „Ballastexistenzen“ in Anschlag und aus dem Kostenargument wurde letztlich das Totschlagargument.
Nach dem Ende der Barbarei, am 16. und 17. August 1946, wurden vier Todesurteile im sogenannten Sachsenberg – Prozeß gefällt. Vollstreckt wurden die Todesurteile jedoch nicht. Die vier Verurteilten Stationspfleger wurden später begnadigt und kamen nach kurzer Haft alle wieder frei. Der Haupttäter, Dr. Alfred Leu, wurde vom Bundesgerichtshof 1953 freigesprochen und konnte unbehelligt als freiberuflicher Nervenarzt und gerichtsmedizinischer Gutachter in der BRD weiter leben und weiter arbeiten. Die Täter blieben unter uns!

Am 25.01.2007, anlässlich des Holocaustgedenktages, lud im Namen der Veranstalter,
Prof. Dr. med. Andreas Broocks, ärztlicher Direktor der  Carl-Friedrich-Flemming  Klinik, HELIOS Kliniken Schwerin, zum Symposium nach Schwerin ein.
Fast 200 Gäste waren der Einladung gefolgt.
Schwerins Oberbürgermeister, Norbert Clausen, Schirmherr der Veranstaltung befürwortete das geplante Gedenkzeichen zum Gedenken an die Opfer aber auch als Mahnung und als Zeichen gegen inhumane Tendenzen in der heutigen Medizin, denn die Tötung „lebensunwerten Lebens“ sei nicht nur ein Thema deutscher Vergangenheit.

Prof. Dr. Andreas Broocks brachte in seinem Vortrag die menschlichen Abgründe, insbesondere der Kindereuthanasie, zur Sprache. “So stellte der damalige Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Sachsenberg, Dr. Fischer, bis 1945 über 300 Anträge auf Zwangssterilisation. Betroffen waren nicht nur Menschen mit angeborenen Geisteskrankheiten, Schizophrenie, erblicher Blindheit, Taubheit oder körperlicher Missbildungen sondern auch Alkoholiker oder gar Kriegsversehrte.
Als „rassisch minderwertig“ beurteilte Menschen sollten sich nicht weiter vermehren dürfen.
Im Nazi-Jargon waren sie ohnehin nur „Ballastexistenzen, die den gesunden Volkskörper schädigen“. Was mit der Zwangssterilisation begann, wurde mit der Ermordung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen fortgesetzt und schließlich auch auf die erwachsenen Anstaltspatienten ausgedehnt. 1938 beschloss das Reichsinnenministerium das berüchtigte Euthanasie-Programm.
Hinter der Aktion T4, der bis 1941 rund 170 000 Kranke zum Opfer fielen, stand ein straff organisierter Tarn- und Verschleierungsapparat – vom Transportunternehmen über die Trostbriefabteilung bis zum Urnenversand. Selbst nach NS- Recht waren die Tötungen illegal. Im Gegensatz zu den Zwangssterilisationen hat es für die Euthanasie nie eine gesetzliche Regelung gegeben, sondern lediglich einen Erlass Adolf Hitlers. Einen Fünfzeiler mit der Lizenz zum Töten. Geschrieben auf privatem Briefpapier. Darin hieß es, „dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann“.
Aus der Schweriner Psychiatrie wurden 1941 nachweislich 275 erwachsene Patienten mit zwei Transporten in den Tod geschickt. Sie wurden nach  Bernburg
( Sachsen-Anhalt ) gebracht, in eine der sechs Tötungskliniken, deren Duschräume in Wahrheit Gaskammern waren. Führende deutsche Hirnforscher deckten sich dort mit Hirn-Präparaten ein. Vor allem Kinder aus der von Oberarzt Dr. Alfred Leu geleiteten „Kinderfachabteilung“ wurden in der Klinik selbst umgebracht. Zwischen 1941  und 1945 kamen hier 430 Kinder ums Leben, die geistig oder körperlich behindert und als „nicht beschulungsfähig“ galten.
Mindestens 100 von ihnen wurden mit dem Einschlafmittel Luminal getötet, um die genaue Todesursache zu vertuschen. Die Anzahl der Kinder, die Opfer von passiven Tötungsmaßnahmen wurden, z.B. durch unzureichende Ernährung, kann nicht exakt bestimmt werden. Möglich waren die Verbrechen nur durch die Kooperationsbereitschaft der Verantwortlichen vor Ort. Nicht die Psychiatrie wurde missbraucht, sie ließ sich missbrauchen. Ärzte wurden damit zu Erfüllungsgehilfen. Sie haben am Massenmord mitgewirkt“.
Deshalb unterstützt Prof. Andreas Brooks „die Errichtung eines Mahnmals auf dem Klinikgelände, welches an die Opfer erinnern und die Gegenwart beleuchten solle“.

Carl Friedrich Flemming-Denkmal

Carl Friedrich Flemming-Denkmal

Wenn ich, nach all dem hier zur schrecklichen Wahrheit Gehörten zurück komme, auf die Eingangs gestellte Frage, wird mir deutlich, dass alleine diese Frage:
Wer hat ein Recht auf Leben?, tödlich sein kann.
Denn wer, wie die Nazis, auch nur das Lebensrecht eines einzigen Menschen in Frage stellt, bedroht am Ende die gesamte Menschheit.
Ohne Hoffnung wollte ich nicht nach Hause fahren und suchte auf dem Klinikgelände das Denkmal von Dr. Carl-Friedrich-Flemming, dem Humanisten und Vorkämpfer einer humanen Psychiatrie und von einem anderen Mitstreiter für Menschenwürde, Johann Joachim Heinrich Basedow.

Text: Peter Braun, 27. Januar 2007

Carl-Friedrich-Flemming-Klinik - Foto: M. Moschall

Carl-Friedrich-Flemming-Klinik – Foto: M. Moschall