Ambulant vor Stationär – Im Prinzip ja – aber?

Von administrator|9. Januar 2010|Aktuelles aus der Verbandsarbeit, News|

Mit der UN- Behindertenrechtskonvention werden alle staatlichen Organe gemäß Artikel 4 dazu verpflichtet, „die Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern.“ Die politischen Entscheidungen und alle Rechtsakte, die unmittelbar und  mittelbar die Belange von Menschen mit Behinderungen berühren, müssen sich nunmehr an dieser Forderung messen lassen. Dies gilt ganz besonders für die Sozialgesetzgebung.
Seit der Einführung der Pflegeversicherung (SGB XI) im Jahr 1995 setzt sich der ABiMV e.V. für die Umsetzung des Vorrangs der häuslichen Pflege ein. Niemand soll gegen seinen Willen im Heim oder in einer Anstalt leben müssen, auch nicht, wenn er/sie/es auf Pflege angewiesen ist.
Im Elften Buch ( SGB XI – Soziale Pflegeversicherung ) ist der Vorrang der häuslichen Pflege gemäß § 3 bestimmt: Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege gehen den Leistungen der vollstationären Pflege vor.
Der Bundesgesetzgeber erkennt hiermit durchaus an, dass Menschen mit Pflegebedarf besser zu Hause aufgehoben sind. Ambulant vor stationär heißt deshalb das Prinzip! Aber wie das mit Prinzipien und Bundesgesetzen so ist, sie gelten häufig nur grundsätzlich oder auf dem Papier!
Obwohl in Deutschland zweidrittel der Pflegebedürftigen zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt werden, erhalten sie  nur ein geringfügiges Pflegegeld, welches erheblich geringer ist als für die Pflege im Heim. Menschen im Heim werden finanziell wesentlich besser unterstützt, weil der staatliche Drang zur Bevorzugung und zur Institutionalisierung der Pflege ungebrochen ist. Dass dies ein speziell deutsches Problem ist, wird deutlich, wenn man die Pflegesysteme in unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz betrachtet (siehe hierzu auch Pflegeübersicht im Anhang).
In der Bundesrepublik Österreich erhalten die Pflegebedürftigen monatliche Pflegeleistungen in sieben Pflegestufen. Ob jemand zu Hause oder im Heim gepflegt wird, macht dabei für die Höhe des Pflegegeldes keinen Unterschied. In beiden Fällen ist das Pflegegeld je nach Einstufung gleich. Außerdem werden für die häusliche Pflege durch Betreuungskräfte zusätzlich bis zu 550,- € als Zuschuss bereit gestellt.
Die Schweiz geht einen großen Schritt weiter. Die aktuellen Sätze der „Hilflosenunterstützung“ unterscheiden deutlich zwischen Leistungen für Heimbewohner und zu Hause Gepflegten. Das Pflegegeld für die Pflege zu Hause ist fast doppelt so hoch, wie im Heim. Hier wird wirklich dem Prinzip „Ambulant vor Stationär“ Rechnung getragen, denn damit erhöht sich die Chance, dass die Familienangehörigen die Pflege übernehmen  und die Pflegebedürftigen zu Hause bleiben können.
Deutschland kann von Österreich und der Schweiz einiges lernen, wie häusliche Pflege organisiert und finanziert werden kann! Eine Pflegereform, die ihren Namen verdient, ist in Deutschland längst überfällig, vorher jedoch sollte das Prinzip „Ambulant vor Stationär“ endlich durchgesetzt werden!
Peter Braun, 09.01.10