Die Würde des Menschen ist doch antastbar!
Vor dem Hintergrund von Alt Rehse hat die Sozialministerin des Landes, Frau Dr. Linke, am 20. Mai zu einem Kolloquium eingeladen, um die ethischen Grenzen in der modernen Medizin in den Mittelpunkt der historischen Aufarbeitung zu stellen.Dass dieses Thema hoch brisant und wichtig ist, haben die Beiträge und Diskussionen an diesem Tag gezeigt.
Das Hauptreferat von Dr. Manfred Richter-Reichhelm ( Bild ) legte schonungslos die Rolle der Ärzteschaft bei der Durchsetzung der NS- Rassenideologie offen. 40 000 Ärzte, Hebammen, Apotheker wurden in der Kaderschmiede Alt Rehse ab 1. Juni 1935 in der Rassenhygiene angeleitet. Mediziner haben später an Menschenversuchen ihre „Studien“ weiter betrieben oder an der Vernichtung im KZ im weißen Kittel teilgenommen.
Medizin ohne ethische Grenzen wurde tagtäglich praktiziert. Die eigenen Patienten wurden den Gesundheitsämtern gemeldet oder gleich selbst tot gespritzt, wenn sie nicht den rassenhygienischen Vorstellungen der Herrenmenschen entsprachen oder auch nur einfach chronisch krank waren! In kurzer Zeit führte die Aktion T 4 zur Vernichtung fast aller chronisch kranker Menschen in den Psychiatrischen Kliniken in Deutschland.
Diese Tatsachen werden noch immer verschwiegen, vergessen und verharmlost!
Die Götter in Weiß im Mordkomplott der Nazis verwickelt! Unerhört! Dies wäre heute nicht mehr möglich, dies würden die Ärzte heute nicht mehr mitmachen, warf eine Ärztin ein. Zweifel wurden angemeldet, gibt es nicht heute bereits wieder Grenzüberschreitungen mit der Bioethik, der Genforschung, der Präimplations- oder der Pränataldiagnostik, bei der Sterbehilfe?
Beugen sich die Ärzte nicht einem Kostendruck, welcher die individuelle Gesundheit der Patienten in Frage stellt und deren Gesundheit der Gesundheitskasse opfert?
Alle Fragen lassen sich in so einem kleinem Kolloquium nicht klären und schon gar nicht nach 61 Jahren Schweigen und Verdrängen, zumal die Historiker noch keine genauen Erkenntnisse über Alt Rehse vorweisen könnten.
Herr Dr. Hans-Uwe Lammel, von der Uni Rostock, schätzt die Bedeutung und den Anteil der Ärzteführerschule für die Vernichtungsaktionen der Nazis eher als gering ein. Es standen lediglich auch nur 10 % – 15 % Rassenlehre auf dem Lehrplan. Internationale Gäste waren von der Schule und den Lehrplänen seinerzeit begeistert.
Die Teilnehmer des Kolloquiums und vor allem die Menschen, die sich seit Jahren um eine echte Aufarbeitung des schrecklichen Erbes bemühen, allerdings nicht. Sie wollten sich der Lehrmeinung des Historikers nicht anschließen, selbst wenn Herr Dr. Lammel nur das gelten läßt, was er weiß.
Im Universitätslehrplan der Uni- Rostock steht das Thema Ärzteführerschule Alt Rehse jedenfalls noch nicht. Ich hörte mit Schrecken, wie in einer so traditionsreichen Uni wie Rostock mit der Historie umgegangen wird!
Meine Sorgen und Bedenken, dass die Würde des Menschen immer mehr in unserer Gesellschaft zur Disposition steht wurden im Kolloquium und auch vom Schlusswort der Ministerin nicht ausgeräumt!
Besonders beängstigt hat mich, dass sich alle darüber einig waren, medizinische Versuche an einwilligungsfähigen Personen selbstverständlich zu zulassen. Als wenn es Georg Büchners „Woyzeck“ nie gegeben hätte, der Mensch als Versuchskarnickel! Die Verletzung der Würde eines Menschen ist eine Verletzung der Würde der ganzen Menschheit, daran muss sich die Ethik in der Medizin messen lassen!
Nachbetrachtung von Peter Braun, 20.05.06