Gedenkveranstaltung in Güstrow
„Nur wenn die „Euthanasie“-Toten uns ohne Unterlass an die stets offenen Wunden der Psychiatrie erinnern, sind sie vielleicht nicht umsonst gestorben.“ Zitat aus einer Rede von Prof. Dr. Klaus Dörner, am 27. Januar 2009 in Rostock.
Der 27. Januar – in Erinnerung an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren – wurde 1996 zum offiziellen „Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus“ ernannt. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte den 27. Januar im Jahre 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Seit 2008 steht dieser Tag in Mecklenburg-Vorpommern auch im Zeichen einer lange Zeit tabuisierten und verschwiegenen Opfergruppe: Menschen mit psychischen oder anderen Erkrankungen, geistigen und körperlichen Behinderungen, die im Rahmen der Erbgesundheitsgesetze und der sogenannten T4-Aktionen in der Zeit des Nationalsozialismus umgebracht oder dauerhaft geschädigt wurden.
Die diesjährige landesweite Gedenkveranstaltung führte auch 10 Mitglieder aus unserem Landesverband in diesem Jahr nach Güstrow. An einer Andacht im Dom mit Pastor Höser, der Domgemeinde und mit Schüler*innen der „Freien Schule“ Güstrow sowie der „Anne Frank Schule“ haben wohl gut 200 Menschen teilgenommen. Anschließend wurde mit Vorträgen, nunmehr im Landratsamt, an die Aussonderung und Ermordung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen im Nationalsozialismus erinnert. Wenngleich in Güstrow keine direkte Vernichtung statt fand, wie der Landrat Sebastian Konstien, in seiner Begrüßungsrede feststellte, wurden aber vielfach chronisch kranke Güstrower Bürger*innen vom hier ansässigen Erbgesundheitsgericht, vom Gesundheitsamt oder von Verwaltungsbehörden in Kliniken bzw. in Vernichtungsanstalten eingewiesen und damit gnadenlos in den Tod geschickt. Herr Reinhard Simon hat sich, bei der Aufarbeitung der Schicksale von Patienten der Heil- und Pflegeanstalt „Domjüch“ (Neustrelitz) besonders verdient gemacht. Er hat aus Patientenakten ermittelt, dass am 11. Juli 1941 über 100 Patienten aus dem „Domjuch“ zur Tötung in die Anstalt Bernburg deportiert worden sind. Ich war beeindruckt, dass es neben der Erinnerungsarbeit, Margit Glasow und Frank Hammerschmidt gelungen ist, einen Bogen auf aktuelle Themen zu schlagen. Die Nazi-Ideologie von der „entarteten“ Kunst – Barlachs – hin zur Diskriminierung und Aussonderung seelisch empfindsamer Menschen, oder auch Frau Glasow, von der Genetik hin zur Ethik!
Unter dem Eindruck des hier gehörten, bin ich froh, dass die Bundestagsabgeordneten am 16. Januar sich mit großer Mehrheit für die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung bei Organspenden, entschieden haben. Denn was alles passieren kann, wenn ethische Fragen in der Medizin ausgeblendet werden, ist beim Rückblick auf unsere Geschichte und dem Schicksal von Patienten, mir, heute deutlich geworden. Ich bedauere es sehr, dass ich nicht einen einzigen Landespolitiker auf der landesweiten Gedenkveranstaltung in Güstrow gesehen habe. Es waren Schülerinnen und Schüler, Bürgerinnen und Bürger sowie freigemeinnützige Vereine und Verbände der Zivilgesellschaft, die am 27. Januar, die Gedenkveranstaltung mit großem Engagement vorbereiteten und besuchten; an die Opfer des NS-Terrors in Güstrow erinnerten und sich gegen Rassismus, Ausgrenzung, Hass und Gewalt, positioniert haben. Das macht mir Mut und Hoffnung!
Peter Braun, nachbetrachtet am 27.01.2020 Bilder: (cop.) Karsten Lewerenz